Lebensfreude wiederfinden durch Vergänglichkeit.
Ein Artikel über Lebensfreude wiederfinden beginnt mit unglücklich fühlen. Warum das? Weil ja wohl eher ein Mangel von Lebensfreude die Inspiration ist, einen Text zu lesen, von dem man sich erhofft zu erfahren, wie man (wieder) mehr Freude am eigenen Leben erlangen kann.
Bewusstes Leben
Ja, Lebensüberdruss schmeckt bitter. Manche fühlen sich als Opfer widriger Umstände und finden das Leben ungerecht. Andere schämen sich ihrer Unzufriedenheit, weil sie doch „eh alles haben“.
Manche lenken sich so sehr mit Leistung und Aktivitäten ab, dass sie gar keine Zeit haben, zu spüren, dass sie unglücklich sind. Wieder andere warten, dass doch endlich mal bessere Zeiten kommen. Manche meinen, mehr hätten sie nicht verdient, und das Leben sei eben hart und sie könnten nie Lebensfreude wiederfinden.
Und manche „wurschteln“ täglich so dahin, versuchen ihr Bestes, doch trauen sich nicht, die wirklich eigene Lebensgestaltung umzusetzen.
Je nach Erfahrungen und inneren, teilweise unbewussten, Überzeugungen atmen wir täglich automatisch ein und aus, aber wie bewusst lebst du wirklich? Manche spüren eine innere Unruhe als Weckruf. Was bleibt, ist der schale Geschmack:
Ist es das schon gewesen, dieser Alltag, wann beginnt mein Leben?
Unglücklich und verstimmt?
Sehr provokant formuliert kann eine andauernd gedämpft-gedrückte Stimmung – hinter all dem bewusst gefühlten Leid – auch eine Art Erleichterung sein: Sich der eigenen Lebens-Verantwortung erleichtern, entledigen.
Natürlich ist es nicht angenehm, so ehrlich-direkt hinzusehen. Und wenn man sehr identifiziert ist, ist es manchmal noch gar nicht möglich, in leidvollem Gefühl einen Gewinn zu sehen. Aber es liegt immer etwas hinter unseren Verhaltensmustern, das uns in irgendeiner Form dient.
Wenn man das Leben wertlos ansieht, und findet, es ist ohnehin alles schwierig, traurig, schlecht, man kann selbst weder etwas dafür, noch etwas ändern; wenn doch alles einfach ein Ende hätte! Dann scheint der Tod Ausweg zu sein, statt etwas am liebsten zu Vermeidendes.
Es kann auch ein unbewusster Gewinn sein, sich nicht lebendig fühlen, sich nicht an das Leben binden zu wollen, weil dann die Traurigkeit, es eines Tages verlassen zu müssen nicht so stark ist.
Denn wenn man wiederum gern lebt, möchte man an das eigene Ableben meist weniger gern erinnert werden. Das Leben ist voll Genuss, man will noch Vieles erleben, hat dann aber mitunter das Problem der Angst vor der Endlichkeit. Dann macht es womöglich traurig zu wissen, es ist nie alles an Erfahrungen und Erlebnissen zu schaffen. Doch damit entsteht die Haltung des Festhaltens, was Starre erzeugt und wider das Leben ist, das doch ständig fließt.
Daher finde ich es wichtig, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinander zu setzen, um das Leben tief schätzen zu können.
Epikur, griechischer Philosoph 341 v.Chr. geboren, lehrte: „Daher macht die richtige Erkenntnis, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat, die Vergänglichkeit des Lebens zu einer Quelle der Lust, indem sie uns keine unbegrenzte Zeit in Aussicht stellt, sondern das Verlangen nach Unsterblichkeit aufhebt. […] denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da.“ [Quelle Wikipedia, zit.n. R.Nickel 2005, S. 117]
Ich bin jetzt am Leben, dadurch spielt mein zukünftiger Tod jetzt keine Rolle. Weil aber mein jetziges Dasein endlich ist, darf ich jeden Augenblick dankbar lebendig sein.
Vergänglichkeit als Ressource
Gerade der Herbst lehrt es so schön: Es ist in allem ein Zauber und alles ist vergänglich. Jeder Augenblick ist anders.
Nichts kehrt wieder. Doch das ist kein Grund festzuhalten oder starr zu sein, sondern umso mehr fließende Lebendigkeit zu erlauben.
Es ist so, als wenn ich eine blühende Blume nicht ansehen mag, aus Angst, dass sie verblühen könnte. Sie verblüht ohnehin, ob du dich während ihrer Blütezeit an ihr erfreust, oder nicht.
Wenn du Dinge aufbewahrst statt sie zu nutzen, ist der Zweck von Gebrauchsgegenständen übersehen worden. Früher hielten es die Menschen mit dem guten Geschirr so, und heute? Materielles kann kaputt gehen, dein Geschmack ändert sich und das kostbar im Schrank Bewahrte gefällt dir dann gar nicht mehr.
Also, sieh hin, verwende, was dir wertvoll ist, zieh deine Lieblingssachen JEDEN Tag an. Auch zuhause, wertschätzend dir gegenüber. Lebe! Spare nicht an dem, woran du Freude hast, lebe deine Zeit und habe Vertrauen. Wenn es nötig wird, wird sich wieder das Passende ergeben.
Innere Haltung kultivieren
Für empfundene Freude am eigenen Leben und Zufriedenheit braucht es meiner Ansicht nach die bewusste Auseinandersetzung mit etlichen „Vs“ und einem „D“:
Verständnis um Vergänglichkeit, Veränderung vertrauen, Verantwortung und Verwaltung des eigenen Lebens, sowie Dankbarkeit.
Das Essentielle dabei ist das bewusste Denken, sich zu konfrontieren mit diesen Themen. Was bedeutet das eigentlich wirklich für meinen Alltag, meine Lebensfreude? Frage dich das und erforsche dich. So oft der Verstand unkontrolliert, unpassend grübeln mag, hier dient er als wichtiges Werkzeug. Das ist selbstverantwortliches nach Innen horchen und darauf aufbauend das Kultivieren deiner Lebensfreude. Inneres Verständnis führt zu Erkenntnis, dann kannst du Herz-geleitete Erfahrungen machen, die dich bereichern.
Die Welt dreht sich ohnehin weiter, die Sonne geht auf und unter, ganz gleich, was du täglich tust; ob du leidest, dein Leben verschläfst, wütend bist oder feierst und dankbar bist. Es ist in deiner eigenen Verantwortung, deine Lebensfreude aktiv selbst so zu gestalten, dass du erfüllt bist, bevor du eines Tages diese Lebensform verlässt.
Vom Mangel zur Fülle
Achtsam am Leben sein macht diese unermessliche Fülle (es ist alles schon da!) wunderschön, sowie auch schmerzlich die Vergänglichkeit bewusst, was aber durch tiefe Akzeptanz die Ressource für bewusste Dankbarkeit sein kann.
In meinen Augen ist alles ein Wunder: Die eine Nadel des Baums, der Lichtstrahl, wie überhaupt ein Haus gebaut wird, wie kein Holzscheit dem anderen gleicht, die Zellen deines Körpers, die feine Luft, wie sie für uns nicht sichtbar und doch da ist, die angenehme Wärme deiner Decke, der intensive Duft des Kaffees, der liebevolle Blick eines Menschen… die Wunder sind unendlich, ich bin erfüllt, ich könnte zerspringen vor Lebenslust. Bin gesegnet und sehr, sehr dankbar!
Gleichzeitig ist es mir möglich, diese Tür zuzumachen und mich nur darauf zu fokussieren, was alles nicht passt.
Es ist meine Entscheidung, meine Verantwortung, wohin ich mich ausrichte.
Es ist immer alles gleichzeitig. Entweder-oder ist die trennende Form und bloß ein Missverständnis.
Lebensfreude wiederfinden bedeutet nicht, dass sich ständig alles großartig anfühlt.
Die Freude am eigenen Dasein ist ein mit und im Leben Verbundensein, tiefe Dankbarkeit wengleich Widrigkeiten existieren, es ist ein mitfühlendes Herz voll Energie, offen für Erfahrung. Ich wünsche dir zu spüren, dass Lebendigsein Freude macht.
Es gibt unendliche Mysterien und kaum etwas, das ich verstehe. Das ist schön. Der Verstand hat frei. Das Universum ist größer als ich, ich muss nichts verstehen, ich darf lebendig sein.